Horst Sendzik ist ältester Sohn des Schneidemeisters Sendzik, der im Ort einen Schneiderladen besaß (da wo heute der Hundeladen drin ist). Hier auf einem Ausschnitt eines Klassenfotos aus dem Jahr 1953.
Sein Vater Friedrich Sendzik war lange Jahre in der Kommunalpolitik tätig, zuletzt saß er für die DWG im Gemeinderat.
Horst berichtet hier in kurzen, schnappschussartigen Blicken über die Zeit Ende der 40-er und Anfang der 50-er Jahre.
Wir wurden im Winter 1945 auf einem Bauernhof im Kreis Oldenburg einquartiert. Aus Pietätsgründen nenne ich den Namen der Bäuerin nicht.
Gleich am nächsten Morgen machte sie uns klar, dass wir Kinder mit den Kindern der Nachbarschaft nicht spielen sollten. Diese Anordnung wurde von uns allerdings mißachtet.
Wir mussten oft mit ansehen wie der Hund vor unseren Augen von der Bäuerin mit Eiern und Wurst gefüttert wurde. Wir wären schon dankbar man hätte uns ein Stück trockenes Brot gegeben.
Im Sommer 1945 erfolgte eine weitere Einquartierung.
Diesmal waren es Wehrmachstssoldaten, die dort interniert wurden. ,,Die kriegen nicht einmal Wasser von mir", das waren die Worte der Bäuerin. Daraufhin legte sie um den Pumpenschwengel eine Kette mit Schloß. Für die Soldaten war das kein Hindernis, um an Wasser zu kommen.
Jetzt zwei positve Erlebnisse:
Ich machte im Winer 1945 einen Spaziergang nach Dahme und landete am Dahmer Strand. ,,Wo kommst du den her"fragte mich
jemand, es war der Fischer Plön. Den Vornamen habe ich leider vergessen.
,,Aus Marienwerder", war meine Antwort. ,,Und bei wem wohnst du jetzt". Ich nannte den Namen der Bäuerin. Er gab mir 2 Dorsche mit der Aufforderung der Bäuerin keinen abzugeben. Beim Angeln lernte ich Hans Möller kennen. Jedesmal, wenn er neues Angelgerät für seinen Laden eingekauft hatte, brachte er mir etwas mit.
Als Flüchtlinge lebte meine Mutter mit ihren 4 Kindern bei einer
Bäuerin in Gruberhagen. Gegen Ende des Krieges 1945 hatte ich folgendes Erlebnis: Ich sah ein deutsches Flugzeug, einen Fieseler Storch, der von englischen Jagdfliegern dermaßen bedrängt wurde, dass er zur Landung neben dem Bauernhof gezwungen wurde. Die englischen Jagdflieger waren verschwunden und wir Kinder liefen sofort zum gelandeten deutschen Flugzeug aus dem zwei deutsche Soldaten sprangen und uns anbrüllten: ,,Haut ab, die da oben sind vernünftig, aber man weiß nicht was gleich passiert". Kaum waren wir weg, da waren die Spitfire wieder da und haben versucht, das deutsche Flugzeug mit ihren Bordwaffen zu zerstören. Die deutschen Soldaten wurden von Familie Becker aufgenommen. Das Flugzeug war flugtauglich geblieben. Die Einschusslöcher und die Hoheitssymbole wurden mit gelben Pflastern beklebt. Als der Krieg zu Ende war, startete der
Fieseler Storch in Richtung Leipzig. Die Soldaten wollten zu ihren
Familien. Ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört.
Die Waffen schwiegen, und Teile der Wehrmacht, die entwaffnet wurden, verteilten sich auf die einzelnen Bauernhöfe. Sie wurden notdürftig versorgt und besserten ihren Speiseplan mit Brennnesseln auf. Um zu verhindern, daß die Soldaten sich auf umliegenden Feldern bedienten, wurden Überwachungseinheiten ins Leben gerufen, die mit einem Karabiner bewaffnet waren und nach meinen Erinnerungen wurden nur Warnschüsse abgegeben. Unter den Überwachungseinheiten befanden sich viele Ausländer, die in der Wehrmacht dienten. So viel zur Situation in Ostholstein.
Mein Vater war bereits im Juli 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden und lebte mit uns auf einem Bauerhof in Gruberhagen. Eines Tages ließ er eine Rote-Kreuz-Bude auf dem Bauerhof abstellen. Sofort waren Wachsodaten da und forderten meinen Vater auf, die Bude wieder zurückzubringen. ,,Ich bin Angehöriger der Deutschen Wehrmacht und lasse mir von Rumänen nichts sagen". Das war seine Reaktion. Er wurde an die Stallwand gestellt, ich stand daneben. Ob freiwillig oder gezwungen,
weiß ich heute nicht mehr. Erst der Blick in zwei Gewehrläufe konnte ihn beruhigen. Wir haben es beide überlebt.
Um ein Ausbrechen von Wehrmachtsangehörigen aus dem Internierungsgebiet unmöglich zu machen, wurden neben der Überwachung der Landesgrenzen in Dahme die Fischerboote von den Engländern mit Benzin übergossen und abgefackelt. So sollte verhindert werden, daß sich einige Soldaten über die Ostsee hätten absetzen können. Ich bin Zeuge folgenden Vorfalls, als einige Fischer ein kleines Fischerboot, das die Engländer offenbar nicht entdeckt hatten, ins Wasser ziehen wollten. Am Horizont tauchte plötzlich ein englisches Patrouillenboot auf, das sich dem Strand näherte.
Wir stellten uns alle vor das Boot und winkten der Besatzung zu. Unser Gruß wurde erwidert. Das Patrouillenboot drehte bei, so nennt man das wohl, wir atmeten auf.
Anmerkung: Das Internierungsgebiet für Soldaten, auch "Kral" genannt, befand sich östlich einer Linie von Kiel nach Travemünde. Hier wurde beinahe 500 000 Soldaten festgehalten bis sie entnazifiziert waren und Papiere erhalten hatten. In Dahme lagerten Soldaten im Dahmer Holz und am Leuchtturm. Es gab auch ein großes Lager nahe Rosenfelde.
Auf dem Bauernhof in Gruberhagen, auf dem wir als Flüchtlinge 1945 einquartiert waren, arbeiteten auch 3 Kriegsgefangene, die, milde
ausgedrückt, von der Eigentümerin nicht sonderlich anständig behandelt wurden. Wir Flüchtlinge hatten auch unter ihrer Menschenverachtung zu leiden. Etwas Essbares erhielten wir heimlich von den Kriegsgefangenen.
Die gefüllten Milchkannen wurden von einem Gefangenen per Pferdefuhrwerk in die Meierei nach Grube geschafft. Um sich den weiten Weg zu sparen - er kostete auch Energie - gab meine Mutter unser Milchkännchen und die entsprechenden Lebensmittelkarten mit. Wir wunderten uns nur darüber, daß das Milchkännchen mehr Sahne als Milch enthielt, bis ich eines Tages das Geheimnis lüften konnte. Ich konnte beobachten, wie der Kriegsgefangene während der Fahrt die Kannendeckel öffnete und aus der
oberen Schicht die ,,Milch" in unser Kännchen füllte. Für uns war das eine willkommene Energiezufuhr. Die Lebensmittelmarken, das
vermutete meine Mutter, hat er gegen Zigaretten eingetauscht.
Der Krieg war bereits beendet oder er neigte sich bereits dem Ende zu. Die Kriegsgefangenen der Bäuerin waren in den Besitz von Panzerfäusten gelangt, die sie in einem Holzstapel in der Nähe des Hofes in einem Holzstapel versteckten. Was sie damit vorhatten, weiß ich nicht. Meiner Mutter gegenüber hatten sie sich dahingehend geäußert, dass sie auf jeden Fall wiederkommen würden, um die Bauersfrau in eine mit Nägeln bespickte Tonne zu stecken, die sie dann durch die Gegend rollen wollten. Ich habe das Versteck der Panzerfäuste dem Reichsarbeitsdienst (RAD) verraten, der in der Nähe lagerte. Den Kriegsgefangenen ist nichts passiert. Sie haben sich einige Tage später in Richtung Neustadt abgesetzt.
Mitte der fünfziger Jahre - ich war um die achzehn Jahre alt und lebte in Dahme - besuchte mich mein Freund ,,Pilo", so nannten wir ihn, und er gab mir zu verstehen, daß jetzt die Amis da wären und wir das kontrollieren müßten. Die mitgeführte Wermutflasche war nur noch halbvoll, und so machten wir uns auf den Weg Richtung Leuchtturm. Auf einem freien Feld endeckten wir mehrere Militärfahrzeuge, wir hatten sie also gefunden.
Uns trennte nur ein nur ein Knick von den verhaßten Amis. Sofort fing mein Freund an - er war nicht mehr ganz nüchtern - zu fluchen und mit der Wermutflache herumzufuchteln. Plötzlich wurde ein Scheinwerfer auf uns gerichtet. Ich zog meinen Freund runter und brüllte: “ Weg hier die knallen uns sonst ab".
Am nächsten Tag waren mein Freund und ich wieder einmal im Ort unterwegs, als ein amerikanisches Militärfahrzeug vor uns hielt. Ein Amerikaner sprang heraus und rief in fließendem Deutsch: ,,Jetzt haben wir euch. Wir haben uns köstlich über Euch amüsiert. Wo gibt es hier was zu trinken"? Es wurde ein feuchtfröhlicher Abend.