Schlachtfest im grauen Esel

Der graue Esel war ein Gesindehaus am Ende des Ulmenwegs. Auf der rechten Seite, da wo der Weg sich spaltet. Geradeaus geht es auf den Dahmer Hof und schräg nach rechts geht der Feldweg auf den Spechtschen Hof. Im grauen Esel wohnten die Knechte und Mägde vom Bauernhof Specht. In den fünfziger Jahren war das die Familie Marckmann in der Wohnung unter dem südlichen Giebel, die hatten zwei Kinder, Tochter und Sohn, und in der nördlichen Wohnung die Familie Höft, die hatten einen älteren Sohn, Dieter Höft, der dann auch bald das Dorf verließ. Die Wohnung in der Mitte stand meistens leer, wurde manchmal von einem Knecht bewohnt oder an Sommergäste vermietet. Das Haus war weiß gekalkt und hatte ein Halbwalmdach mit grauen Dachziegeln, deswegen grauer Esel. An den Stirnseiten gab es im Dachboden zwei halbrunde Fenster und dazwischen eine Holztür, so dass es so aussah als ob der graue Esel einen anschaute, wenn man vorbei ging. Ich weiß das noch, weil ich jeden Tag über den Spechtschen Hof und die Allee zur Schule gegangen bin.

Man konnte nur über eine Leiter von außen auf den Dachboden kommen. Der Eingang zu den Wohnungen war vom Hof her, auf der anderen Seite des Hofes war der Stall. Hier konnte sich  jede Instenfamilie ein Schwein und ein paar Hühner halten. Das Abdecken der Schweine war strengstens geregelt, in Dahme gab es auch eine Schweinegilde, aber da wussten wir als Kinder nichts von. Wir haben nur das Quietschen und Grunzen gehört und wunderten uns was da vorging. Auch das Schlachten war streng geregelt, musste angemeldete werden und ein Termin, nicht zuletzt mit dem Trichinenbeschauer ausgemacht werden.

Bei Höfts wurde meistens Ende November geschlachtet. Da war die Ernte eingefahren und man hatte nichts anderes dringendes auf dem Hof zu tun, außerdem war es kalt genug, um das Fleisch ein paar Tage aufbewahren und verarbeiten zu können. Kühlschränke und Kühltruhen waren noch unbekannt.

Das Schlachten war mit viel Lärm verbunden. Das Schwein musste aus dem Stall geholt werden. Da bekam es zunächst ein Seil um ein Hinterbein  gebunden, damit es nicht ausreißen konnte. Anscheinend ahnte es schon immer was passieren sollte, denn es schrie wie am Spieß und musste Stück für Stück zum Schlachtplatz auf dem Hof geschoben werden.

 

Im großen Kessel in der Waschküche waren schon Unmengen Wasser heiß gemacht worden und vor dem Haus standen zwei Tische. Einer als Arbeitstisch, der andere für die Wurstherstellung. Das Schwein wurde dann durch ein Bolzenschussgerät getötet, und wenn das nicht reichte hat es mit einem großen Hammer noch einen auf den Kopf gekriegt, bis es still wurde und nur noch zuckte. Ein schauriges Erlebnis. Wir trauten uns kaum zuzuschauen. Dann wurde das Schwein abgestochen und das warme Blut in Eimern unter ständigem Rühren aufgefangen, damit es nicht gerann.  Daraus wurden dann herrliche Blutwürste mit Grieß und Rosinen gemacht, die schmeckten wunderbar, ungefähr so als ob man heute Süßigkeiten nascht.

Anschließend wurde das Schwein in einen mit heißem Wasser gefüllten Backtrog gelegt, laufend mit kochendem Wasser übergossen und mit einem Blechschaber solange abgeschabt, bis die Borsten entfernt waren. Der Blechschaber hatte an der Spitze einen Haken, mit dem die Hufschalen abgezogen wurden. Das dampfte in der Kälte und in der Umgegend verbreitete sich ein charakteristischer Geruch. Jetzt war das erste getan und die Leute wurden mit Grog und Schnaps belohnt.

Jürgen Möller 2016