Als ich im Sommer 2014 nach 47 Jahren wieder nach Dahme zurück kam und mich hier als Rentner niederließ, las ich im Jahrbuch für Heimatkunde Oldenburg/Ostholstein aus dem Jahr 2008 folgende Mitteilung unter der Rubrik „Die Wagrisch-Fehmarnschen Blätter berichteten vor 100 Jahren“ : Dahme, 30. Juli 1908. Hiesigen Fischern ist es gelungen, die hier gestrandete Lustjacht „Esperanza“ wieder abzubringen. Der Besitzer hatte das Schiff, da eine Bergung ausgeschlossen schien, für 100 Mark an einen hiesigen Einwohner verkauft.
Wie spannend. Eine Jacht liegt in Dahme auf Legerwall, mitten im Sommer, kann nicht geborgen werden. Das muss doch Aufmerksamkeit erregt haben. Hunderte von Zuschauern am Strand, Dahmer und Badegäste, die das Ereignis beobachteten, die Rettungsmaßnahmen der Dahmer Fischer diskutieren. Das muss doch der Gesprächsstoff Nr. 1 gewesen sein. Darüber hat man zu Hause beim Abendbrot gesprochen. Die Kinder haben den Erwachsenen mit großen Augen und Ohren zugehört. Daran muss man sich doch auch noch nach Generationen erinnern können? Wer war der Dahmer, der die Esperanza für 100 Mark gekauft hat? Gibt es noch Überbleibsel, ein Steuerrad oder Rettungsring, Schiffsglocke oder irgendwas? Was geschah mit der abgebrachten Jacht? Ich frage den Chronisten des Dahmer Fischervereins, Jürgen B. Landschoof, der einen Beitrag „Ut de ole Tid“ über gestrandete Schiffe geschrieben hat. Aber der weiß nichts über eine Esperanza. Der Vorsitzende des Fischervereins, Rudi Höppner, verweist mich an Karl Plön in der Leuchtturmstraße, der älteste noch lebende Fischer, der noch was wissen könnte. Karl Plön erzählt, sein Vater wäre 1908 noch ein Junge gewesen, aber hätte ihm nie etwas von einer gestrandeten „Esperanza“ erzählt. Hingegen berichtet er, wie er mit seinem Vater noch Aale im Dahmer See gefischt hat.
Esperanza bedeutet Hoffnung, Lichtblick, Lebensader. Auf dem Internet finde ich das Lied Esperanza von Enrique Iglesias aber nichts über eine Segeljacht Esperanza. Dann endlich im Register "Classical Sailing Boats":
Nygren “Esperanza” Specifications:
LOA: 50.95′ / 15.53m
LWL: Beam: 10.66′ / 3.25m
Draft: 6.56′ / 2m
Displacement: ? Sail Area:?
Hull material: Wood
Rig:
Designer: Axel Nygren
Type: SK150 Cutter
Built by: Stockholm Boatbuilding AB
Year Built: 1897
Name: Esperanza
Original Owner: Carl Wicander “Cork Wicander”
Current Owner: ??? (gesunken/ verliest?) Sail Number: 150-S3
Keine weiteren Einträge. Was ist mit dem Boot passiert, mit dem Eigner? Ich finde eine Zeichnung des Rumpfes und ein Bild von dieser schnittigen Jacht. Wunderbare Formen.
Sie sieht aus wie ein gaffelgeriggter Schärenkreuzer. Hat sie etwa an einem Rennen in der Kieler Woche teilgenommen und ist auf der Heimfahrt in einen Gewittersturm gekommen und in Dahme an Land geworfen worden?
Zahlreiche Segelyachten und Flottenschiffe. Offenbar handelt es sich um die Regatta der Großyachten anlässlich der Kieler Woche 1908. Die Schoneryacht im Vordergrund ist die kaiserliche "Meteor III". Die Wettfahrten auf der Kieler Woche 1908 verliefen auf der "Meteor III" für den Kaiser nicht zufriedenstellend. Auf der Kieler Förde ging die "Hamburg" 16 Sekunden früher ins Ziel, auf der Strecke Eckernförde - Kiel lag die Kaiseryacht noch deutlicher hinter der "Hamburg" und der "Germania", der Kruppschen Yacht, zurück. Und das, obwohl sich Krupp bei Regatten gegenüber dem Kaiser immer in Zurückhaltung übte, denn ihm war bewusst, dass der ehrgeizige Wilhelm II. im Fall einer Niederlage recht nachtragend sein konnte. Nach den Misserfolgen der "Meteor III" gab der Kaiser bei der Kruppschen Werft die Konstruktion einer neuen Yacht in Auftrag.
Die Esperanza war zwar kein Schoner, hätte aber trotzdem an der Kieler Woche dabei gewesen sein können. Und so ein edles Schiff war jetzt vor Dahme gestrandet? Unglaublich.
Der Eigner der Esperanza, Carl August Wicander, wurde am13. August 1885 in Berlin geboren und starb am 27. Dezember 1952 in Lissabon. Er war ein schwedischer Direktor und Industrieller, Sohn des Korkfabrikanten Hjalmar Wicander. Daher auch der Spitzname ”Kork-Wicander”.
Nach dem Abitur 1904 wurde er Reserveoffizier 1906. Er war Vorstandsvorsitzender der Korkfabrik Wicander in Stockholm, der Skandinavischen Jutefabrik in Oskarström und von 1922 – 1946 Geschäftsführer der Linoleum AB in Forshaga. 1930 erhielt er das Flugzertifikat und wurde zum Vorsitzenden des schwedischen Luftfahrtverbundes SLF gewählt. 1949 testamentierte er die Villa Harpsund an den schwedischen Staat, die seit dem als Erholungsstätte für die schwedischen Staatskanzler und für Staatsbesuche genutzt wird.
Carl August Wicander hatte mehrere Jahre in Russland zugebracht (1908 und dann wieder 1910 – 1918). Er war mit einer Ukrainerin verheiratet, mit Wera Georgiewna, geb. Kosma. So was war mit der Esperanza seit 1908 passiert?
Erst Nachforschungen bei der königlichen Segelgesellschaft KSS in Saltsjöbaden, außerhalb von Stockholm, gaben Aufschluss:
Die wunderschöne 150 m² Segeljacht Esperanza wurde 1897 von Axel Nygren entworfen und im selben Jahr auf einer Stockholmer Werft gebaut. Auftraggeber war Carl Wikander, der sogenannte „Kork Wikander”.
Das Boot gewann schon 1897 seine ersten Regatten in Sandhamn. 1906 gewann die Esperanza den Pokal der Mälarkönigin und war das schnellste Boot bei den Regatten nach und um Gotland (Visby).
Beim KSS glaubt man nicht, dass die Esperanza ausserhalb der Lübecker Bucht auf Grund gelaufen ist, sondern dass sie nach Kanada verkauft wurde, hat aber keine Unterlagen darüber.
1941 führte der KSSS den Esperanzapokal für Boote in der 5-Metersklasse ein, in dem die besten Rudergänger Schwedens jeweils ihren Klub repräsentierten. In den ersten Jahren nahmen Pelle Gedda, Tore Holm, Arvid Schultz, Arvid Laurin, Jakob Wallenberg, Erik ”der Silberfuchs” Forsberg, Ville Engdahl und weitere nahmhafte Rudergänger an diesem Pokal teil. 1947 gewann der KSSS den Esperanzapokalen zum Dritten Mal und damit endgültig.
Also war es nicht die Dahmer Esperanza. Wär ja auch zu schön gewesen. Was tun? In den Keller der Oldenburger Bibliothek und den ganzen Jahrgang 1908 der Wagrisch-Fehmarnschen Blätter durchwühlen und siehe da:
Dahme, den 28. Juli 1908
In der Nacht vom 25. Zum 26. Juli dieses Jahres ist hier die aus Eisen und Stahl erbaute Lustyacht „Esperanza“, die in ca. 150 m Entfernung von der Strandlinie vor Anker gegangen war, durch Bruch der Ankerkette gestrandet. Der Unfall ist dadurch herbeigeführt, dass bei sehr schwachem Winde durch ein vom Osten vorüber ziehendes Gewitter schwere Dünung hervorgerufen wurde und ein unter Segel gehen ausgeschlossen war. Da nur noch wenige Menschen am Strande waren, konnte das Fahrzeug nicht mehr gerettet werden. Es liegt direkt vor Dahme am Strande und ist bereits voll Wasser geschlagen. Eine Bergung scheint schwer möglich. Leider war das Fahrzeug nicht versichert. Die Besatzung des Schiffes, zwei Herren und zwei Damen, konnte gerettet werden. Dagegen ist das Inventar zum Teil durch Wasser ruiniert. Das Fahrzeug gehörte dem Führer Herrn Hans Schmidt aus Hamburg, der mit dem Fahrzeug die Reise von Hamburg nach Dahme machte, um dort zu wohnen.
Dahme, den 30. Juli 1908
Hiesigen Fischern ist es gelungen, die hier gestrandete Lustyacht „Esperanza“ wieder abzubringen. Der Besitzer hatte das Schiff, da eine Bergung ausgeschlossen schien, für 100 Mark an einen hiesigen Einwohner verkauft.
Im Anfangs zitierten Beitrag aus dem Jahrbuch von 2008 wurde nur der Beitrag vom 30. Juli referiert. Ich hätte mir also einen Haufen Arbeit sparen können. Aber es war schön zu träumen.
Jürgen Möller 2018