Prof. Domagk gemalt vom Künstler Otto Dix
Gerhard Domagk wurde am 30. Oktober 1895 in Lagow in der Mark Brandenburg, etwa 8o km östlich von Frankfurt/Oder geboren. Sein Vater war Lehrer der dortigen Volksschule und förderte umsichtig die schulische Ausbildung seines begabten Sohnes. So zog die Familie nach Liegnitz in Niederschlesien, damit er Ostern 1914 am dortigen Gymnasium sein Abitur machen konnte.
„Schon der Traum meiner Jugend war, Arzt zu werden, zu helfen, zu heilen. ….Das erste Semester als Medizinstudent an der Universität zu Kiel arbeiten und tun zu können, was ich wollte - Philosophie, Kunstgeschichte, Anatomie, Chemie, Segeln und Schwimmen - war herrlich.“ …So folgte er seinem Jugendtraum und begann nach dem Abitur das Studium der Medizin an der Christian-Albrecht-Universität in Kiel.
Noch im selben Jahr setzte er sein Studium nach dem ersten Semester aus und meldete sich nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges als Freiwilliger zum Kriegsdienst im Leibgrenadier-Regiment Nr. 8 in Frankfurt/Oder. Gleich zu Beginn geriet er in die Hölle des Krieges: an der Westfront auf den Schlachtfeldern von Flandern.
„Im Oktober 1914 wurden wir in der Nähe von Ostende ausgeladen. Meinen 19. Geburtstag feierte ich im überfluteten Schützengraben von Nieuport. In diesen Tagen und im November bei Langemarck fielen unter einer unfähigen militärischen Führung die meisten der alten Schulkameraden; nur 3 blieben übrig – Freunde fürs ganze Leben.
Kaum 14 Tage nachdem wir im Dezember 1914 dicht an der Heimat vorbei gen Osten fuhren, wurde ich verwundet… Ich hatte mir gerade eine `Piepe in Brand gesteckt`, als der Befehl zum Angriff kam. Nach pausenlosem Ansturm kamen wir vor einem Gehöft zum Liegen. ... Der Unteroffizier neben mir wurde getötet. Mir flog der Helm vom Kopf; erst dadurch, daß es mir im Rock heiß runterlief, merkte ich, daß ich auch getroffen war. Ich versuchte, ein Verbandpäckchen um den Kopf zu würgen und band darüber ein großes buntes Taschentuch. Auf Panjewagen wurden die Verwundeten in eine Kirche gefahren, operiert und verbunden. Nachts landete ich in Lichterfelde bei Berlin.
Nach der Wiederherstellung und Entlassung zur Genesungskompanie in Frankfurt/Oder wurde ich im Mai 1915 als Medizinstudent nach einer kurzen Ausbildung zum Sanitätsdienst im Osten abkommandiert. Die Eindrücke im Feldlazarett waren für mich unvergeßlich.“
Hier sah er wieder die Schrecken des Krieges und erlebte jeden Tag, wie die verwundeten Soldaten trotz aller ärztlicher Bemühungen an Cholera, Wundbrand, nach Arm- und Beinamputationen und anderen Verwundungen an Infektionskrankheiten ohne Hoffnung auf eine Heilung wie die Fliegen starben. Dieses Sterben und das Erkennen der medizinischen Ohnmacht gegenüber der Unbeherrschbarkeit von Infektionen war für den jungen Medizinstudenten das Schlüsselerlebnis seines Lebens. Hier schwor er sich, sein Wirken als Arzt in die Bekämpfung von bakteriellen Infektionen und Erkrankungen zu stellen: „Die Eindrücke im Feldlazarett waren für mich unvergesslich. Diese furchtbaren Erlebnisse haben mich lange verfolgt und nach Wegen suchen lassen, wie man den Bakterien wirksam begegnen könnte. Schon damals hatte ich den Wunsch, zu arbeiten und zu arbeiten, um einen kleinen Beitrag zur Lösung dieses Problems zu leisten, falls ich noch einmal lebend in die Heimat zurückkommen sollte.“
Nach Kriegsende setzte er im November 1918 sein Medizinstudium unter schwierigsten Verhältnissen in Kiel fort. Darüber sagte er: “Ich zog in meine alte Bude in der Muhliusstraße 45, die ich im Juli 1914 verlassen hatte. Im Schrank hingen noch meine Anzüge; sie paßten unverändert, wenn sie auch ein wenig knapp über der Brust geworden waren . …Wir arbeiteten sehr hart, obwohl wir nichts zu essen hatten, noch Kohle, um unseren Raum zu erwärmen.“ Eine gravierendere Situation als Folge von Unterversorgung kommentiert er so: “Ich erinnere mich nicht, außer meiner Kopfverletzung im Dezember 1914, einmal das Bewusstsein verloren zu haben, aber Anfang 1919 merkte ich eines Tages im physikalischen Hörsaal, wie mir vor Hunger schwarz vor Augen wurde und ich erst nach Minuten wieder zu mir kam.“ Sein Staatsexamen in Medizin bestand er 1921 bei allen Widerwärtigkeiten seines kargen Studentenlebens mit Bestnote.
1923 wurde ihm am Institut für Pathologie an der Universität Greifswald eine Stellung als Erster Assistent vom Institutsdirektor Prof. Walter Gross angeboten, wo er sich schon 1924 habilitierte. Prof. Gross erhielt im Januar 1925 einen Ruf an die Universität Münster, wo für ihn eine Abteilung für Experimentelle Pathologie eingerichtet worden war. Dr. Gerhard Domagk folgte ihm nach Münster und wurde Dozent an der Universität Münster. Als Leiter der neuen Abteilung für Experimentelle Pathologie unter Gross traf er auf gute Arbeitsbedingungen, hatte aber nur ein bescheidenes Einkommen von etwa 270 Mark im Monat. 1925 heiratete er Gertrud Strübe, seine Schulfreundin aus Liegnitz und damals Beraterin der deutschen Handelskammer in Bern, mit der er vier Kinder haben wird: Götz 1926, Hildegard 1929, Wolfgang 1930 und Jörg 1932).
1927 ergab sich für Dr. Gerhard Domagk eine günstige Gelegenheit für eine intensivere und selbständigere Forschung. Prof. Heinrich Hörlein, Leiter der Pharma-Forschung bei Bayer IG Farben in Wuppertal-Elberfeld, schon länger vorher auf die Habilitationsschrift und vielversprechenden Arbeiten von Gerhard Domagk aufmerksam geworden, bot dem ehrgeizigen Forscher Domagk die Einrichtung und Leitung eines neuen Forschungsinstituts für experimentelle Pathologie und Bakteriologie im Elberfelder Bayer-Werk an. Gerhard Domagk erkannte die neue Möglichkeit, unabhängig in Verbindung mit der Pharma-Industrie zu forschen. „Ich griff mit Begeisterung zu, denn in Münster waren die Möglichkeiten zu experimenteller Arbeit sehr beschränkt.“ Finanziell war die angebotene Stellung attraktiv, und er nahm sie an. Daneben hielt er weiterhin seine Vorlesungen als Assistenz-Professor an der Universität Münster. Das Institut in Elberfeld war in großem Maßstab geplant und wurde somit erst 1929/30 fertiggestellt. Für die Personalausstattung waren beträchtliche Summen angesetzt, so dass sich Gerhard Domagk seine Mitarbeiter nach seinen Vorstellungen aussuchen konnte.
Bild: Domagk in Kellenhusen
Für Domagk und seine Forschungsergebnisse war die Zusammenarbeit mit namhaften und äußerst kreativen Chemikern sehr wichtig. Die Teamarbeit mit den Chemikern Prof. Dr. Mietzsch und Dr. Klarer war entscheidend für die Entwicklung von etwa 600 neuen Wirkstoffkombinationen, die Domagk alle in Tierversuchen testete. Er verglich und notierte alle chemischen Strukturen mit den Ergebnissen seiner Tierversuche. In einem Projekt-Tagebuch zeichnete Domagk alle Ergebnisse auf, so dass sich heute im Bayer-Archiv in Leverkusen an die 9.000 Seiten befinden, nahezu alle in Domagks Handschrift. Es sind die Ergebnisse von Jahrzentelangen Untersuchungen, die Gerhard Domagk allein durchgeführt hat.
Mitte Dezember 1932 machte eine technische Assistentin folgende Beobachtung: Tiere, denen eine Streptokokken-Kultur injiziert worden war und die mit der Wirkstoffkombination KL 730 behandelt worden waren, sprangen sehr lebendig in ihren Käfigen herum, während die nicht behandelten Tiere alle tot waren. Domagk kam nach Elberfeld zurück, war skeptisch und führte dasselbe Experiment selbst durch. Er verblieb vom 22. bis 24. Dezember über Nacht im Labor. Domagk stellte fest, dass alle Tiere innerhalb von 48 Stunden tot waren, es sei denn, sie waren oral mit KL 730 behandelt worden: KL 730 ist Prontosil rubrum. Unerheblich ob die Konzentration des Wirkstoffes von 0,1 % bis 1,0 % variierte, das Ergebnis war konstant. Nach 24 Stunden wurden keine Kokken mehr gefunden. Damit war der große Durchbruch erreicht.
Das war das Ergebnis aus vielen Versuchsreihen in der Anwendung von Sulfonamiden in einer erfolgreichen Teamarbeit von Mietzsch, Klarer und Domagk in dem neuen von Domagk begleiteten Forschungsinstitut von Bayer: die ersteren “ Mietzsch und Klarer sind die Erfinder neuer Sulfonamid-Kombinationen, der Mediziner Domagk ist der Entdecker ihrer Heilwirkung im Organismus.“ Diesen Anteil seiner Forschungskollegen, („meiner chemischen Kollegen“), hat Prof. Domagk stets und gebührend bei seinen wissenschaftlichen Vorträgen herausgestellt.
Während seiner Ausbildungszeit in Kiel segelte er mit der Akademischen Segler-Vereinigung. Auf einem dieser Segeltörns ging die Crew in Dahmeshöved am Eingang der Lübecker Bucht vor Anker und an Land. Dieser Ort mit seiner in die Ostsee vorspringenden „Ecke“ und seinen besonderen geologischen Formationen mit ihren Landschaft prägenden Biotopen beeindruckte ihn nachhaltig: im Norden nach Dahme zu die Steilküste, die im Süden in ein flaches steiniges Riff mit einer Vielzahl von Findlingen in der Ostsee ausläuft und im Südwesten in der Bucht nach Kellenhusen in eine Dünenlandschaft übergeht. Lange bevor er es zu wissenschaftlichen Meriten gebracht hatte, beschloss er, hier an der „Ecke“ ein Haus zu bauen, wenn die beruflichen und finanziellen Umstände dafür reif sein würden.
Als letztes Gebäude ließ der Professor an der südwestlichen Grenze des Grundstückes vom Baumeister Ewers ein Bootshaus errichten. Das etwa viereinhalb Meter lange Boot wurde vom Bootsbaumeister Schacht aus Neustadt in Klinkerbauweise aus Eichenholz hergestellt. Es war ein stabiles Arbeitsboot mit Spiegelheck, geeignet zum Rudern und Segeln. Ein Lugger- oder Kat-Rigg mit Mast im Bugbereich begünstigte die Überschaubarkeit, durch seinen Rundspant bot es ein gutes Platzangebot und eine hohe Sicherheit gegen ein schnelles Kentern. Zur besseren Kursstabilität wurde es mit einem Schwertkasten für ein Steckschwert in der Bootsmitte ausgerüstet. Es wurde auf den Namen „Klabautermann“ getauft. Während des Sommers lag es nachts aufgezogen am Strand vor dem Haus. Tagsüber wurde es bei gutem Wetter oft vom Professor gesegelt. Als Segler im Akademischen Segler-Verein in Kiel hatte der Professor das Segeln von der Pike auf gelernt. Während der Sommeraufenthalte in Dahmeshöved brachte er seinen Kindern das Segeln bei. „Klabautermann“ wurde intensiv genutzt. Zum Dorschpilken auf den fischreichen Gründen vor der „Ecke“ kam Franz Olandt ins Spiel, Fischer und Hilfswärter auf dem Leuchtturm. Am meisten nutzte Götz das Boot mit seinem Freund Hilmar Appel vom Haus Meerfried. Möglicherweise hat diese Vorliebe für das Segeln beide beeinflusst, sich nach der Einberufung zum Militärdienst für die Marine zu entscheiden.
Bild: Domagk hält einen Frosch in der Hand
Der Professor selbst war infolge intensiver Forschungsverpflichtungen bei Bayer IG Farben in Wuppertal oder weltweiter Vortragsreisen auch während des Sommers oft ortsabwesend. Wenn er dann wieder zur Familie nach Dahmeshöved kam, war es für die Kinder ein freudiges Ereignis, das fast wie ein Ritual verlief. Bei den damaligen öffentlichen Verkehrsverhältnissen fuhr der Professor mit dem Zug von Wuppertal bis Lübeck-Travemünde. Dort bestieg er den Bäderdampfer „Möwe“ des Kapitäns Krohn mit dem Ziel Seebrücke Dahme. An der „Ecke“ von Dahmeshöved, direkt vor ihrer Haustür und nahezu in Sicht zueinander grüßte der Kapitän des Bäderdampfers mit zwei langen Tönen der Dampfpfeife. Frau Domagk und Kinder winkten freudig und aufgeregt, dann sprangen sie an den Strand und rannten zur Seebrücke nach Dahme, um den Vater zu begrüßen. Der Mietwagen-Unternehmer Ferdinand Schröder war schon mit seinem sechssitzigen Automobil geordert und fuhr die Familie Domagk nach Dahmeshöved zum Gartencafé Schröder. Dort vollzog sich nach der freudigen Begrüßung des Vaters der Höhepunkt des Rituals: es gab Schröders berühmte und unvergessliche Erdbeeren mit Schlagsahne und Borkenschokolade.
Bis zum Sommer 1943 war Wuppertal-Elberfeld weitgehend von Luftangriffen verschont geblieben. Es war von den Eltern Domagk eine vorsorgliche und vorausschauende Entscheidung, wegen der zu erwartenden intensiveren Bombardierung ihres Stadtteils Frau Domagk ab dem Sommer 1943 mit den beiden Kindern Hildegard und Jörg zunächst zur Baronin von Breitenbach auf Schloss Brandenstein in Thüringen ziehen zu lassen, „wo die beiden gut aufgehoben und vor Bombenangriffen sicher waren“. Zu Weihnachten 1944 verzogen sie in ihr Haus nach Dahmeshöved. Nach Anmeldung in der Gemeinde Dahme erhielten die Mitglieder der Familie Domagk vom Gemeindeangestellten Hans Martens ihre Lebensmittelkarten für fast alle rationierten Nahrungsmittel und Bezugsscheine für andere rationierte Güter des täglichen Lebens. Bis Ostern 1946 besuchte Jörg die Volksschule in Kellenhusen in der Klasse von Karl Harder und erhielt dort sein Abschlusszeugnis. An diese Schulzeit hat er bis heute eine nachhaltig gute Erinnerung.
Der Sohn Wolfgang, geboren 1930, kam erst nach Endes Krieges nach Dahmeshöved. Seine besondere Neigung galt der Fliegerei. In Kanada hat er nach intensiver und fundierter Ausbildung zum Privat-Piloten eine Fluglizenz erworben und war aktiv auf dem Flugplatz Alta in Kanada. Beim Üben von Sturzflug kam es zu einem Absturz des Flugzeuges, bei dem Wolfgang ums Leben kam. Sein Grab befindet sich in Kanada. Für den Vater war dieses tragische Ereignis ein schwerer Schicksalsschlag und eine lebenslange Bürde.
Der jüngste Sohn Jörg, geboren im Juli 1932, wurde im Juli 1943 von der Mutter zum Schulbesuch in einem ausgelagerten Gymnasium in Dahme angemeldet, wurde aber von der Schulleitung nach Rücksprache mit dem Schulinspektor abgelehnt, weil er nicht dem nationalsozialistischen Gemeinschaftsdenken und -verhalten entsprach.
Jörg besuchte war schon zur Schulzeit ein großer Tierliebhaber und zeigte ein ausgeprägtes Interesse für Hunde und Großvieh. Aus diesem Interesse heraus nahm er Kontakt zu dem Tierarzt Dr. Niemann in Cismar auf. Diesen begleitete er nach Unterrichtsschluss zu den Bauern und deren Behandlung bedürftigen Tieren. Mit Wissen und Zustimmung der Eltern übernachtete er bisweilen bei Dr. Niemann. Dann fuhr er am nächsten Morgen von Cismar mit dem Fahrrad zur Schule nach Kellenhusen. Dieses Interesse war so nachhaltig und prägend, dass Jörg nach dem Abitur Tiermedizin an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover studierte und ein erfolgreicher und bekannter Tierarzt wurde.
Der Vater kam 1945 vor Kriegsende mit dem Fahrrad (!) aus Wuppertal. Ebenfalls vor Kriegsende kam Opa Strübe, Vater und Schwiegervater des Ehepaares Domagk, mit dem Zug aus Liegnitz in Niederschlesien bis nach Neustadt in Holstein. Auf einem mit Balken beladenen Pferdefuhrwerk und völlig verfroren kam er bis nach Grönwohldshorst, dann zu Fuß nach Dahmeshöved. Er war ein freundlicher älterer Herr, Ingenieur im Ruhestand und lebte sich schnell in Dahmeshöved ein.
Der große Garten wurde wie zuvor intensiv bestellt und trug mit seinen Gemüse- und Kartoffelerträgen zur Ernährung der Domagks bei. Frische Milch holte Jörg täglich von der Hofstelle des Dr. Hofius gegenüber dem Leuchtturm. Durch Jörgs gute Kontakte zu den Dahmer Fischern kam auch frischer Fisch auf den Tisch. Vor allem gab es nicht die manifeste und tiefsitzende Angst vor nächtlichen Bombardierungen. Anna Klütmann, die Frau des Postboten Max Klütmann, erledigte die Wäsche für die Familie Domagk.
Am 25./26. Juni 1943 zerstörten dann 630 Flugzeuge zu 94 % den Stadtteil Elberfeld, Wohnort der Familie von Prof. Domagk. Der älteste Sohn Götz, geboren 1926, war zum Dienst in der Marine als Seekadett auf dem Hilfskreuzer „Hansa“ eingezogen worden. Die Tochter Hildegard, geboren im Januar 1929, besuchte ab 1944 das Freiherr-vom-Stein Gymnasium in Oldenburg in Holstein. Sie fuhr jeden Tag, Sommer wie Winter, die 26-km-Strecke von Dahmeshöved nach Oldenburg mit dem Fahrrad hin und zurück. Im Winter hatte sie häufig die Gelegenheit, vom Schlachter Franz Lehmbeck aus Kellenhusen mitgenommen zu werden, der seine älteste Tochter Helga bei schlechtem Wetter mit der Pferdekutsche zur Schule nach Oldenburg fuhr. Ab 1946 besuchte Hilla, wie sie zuhause genannt wurde, bis zum Abitur wieder ihr Gymnasium in Wuppertal. Am 09. Januar 2017 ist sie 88 Jahre alt geworden. Sie war mir eine hilfreiche Informantin zum Leben ihrer Familie in Dahmeshöved.
Bild: Ecke von Dahmeshöved
Prof. Gerhard Domagk war ein ständig Forschender und stets Lernender, wie sein jüngster Sohn Dr. Jörg Domagk ihn beschreibt, und wenn es oftmals nur Vokabeln ausländischer Sprachen waren, um seine wissenschaftlichen Vorträge in der jeweiligen Landessprache halten zu können. In Ermangelung seines Forschungslabors setzte er seine theoretischen Forschungen in Dahmeshöved fort, ungestört in einer geräumigen weißgestrichenen Laube, die noch heute existiert - mit Ausblick auf die gegenüberliegende mecklenburgische Küste. Zur Entspannung und Reflektion über seine theoretischen Arbeiten legte er nach dem Verschließen der Aufzeichnungen in seinem Arbeitsschrank längere Pausen ein. Diese verbrachte er auf seiner vom Zimmermeister Heinrich Bruhn aus Dahme in Ufernähe erbauten und von dessen Enkel Uwe Tychsen gewarteten Sitzgruppe aus naturbelassenem Birkenholz, mit Spaziergängen durch die südwestlichen Dünen oder durch das Dahmer Moor. Auf dem Fahrweg durchs Moor begegneten ihm hin und wieder Bewohner aus Dahmeshöved oder Bauern und Landarbeiter aus Dahme. Alle wussten, wer er war und hatten großen Respekt vor ihm und der Aura, die ihn hier umgab. Diese erzeugte bei den meisten Leuten Verunsicherung, die oft in scheuer Distanz zum Professor spürbar wurde. Zu diesem Eindruck einer vermeintlichen Unnahbarkeit trug er durch seine stille Reserviertheit und zurückhaltende Bescheidenheit selbst bei. Einen gesellschaftlichen Kontakt mit gegenseitigen Besuchen - mit sehr wahrscheinlichen kollegialen Gesprächen über fachmedizinische Inhalte - hatte Prof. Domagk nur zu Sanitätsrat Dr. Hofius vom Erholungsheim Haus “ Seefrieden“, das dieser 1920 erworben und seitdem betrieben hatte.
Meine Großmutter Marie Paustian begegnete ihm oft, wenn sie zum Melken ihrer Kuh Berta auf der Weide am Pumpenhaus im Dahmer Moor ging. Bei diesen Begegnungen unterhielt sich der Professor häufig mit ihr über ihre tägliche Arbeit, für die er sie nach Aussage des Sohnes Jörg schätzte. Ihm fiel auf, dass sie verarbeitete wunde Hände hatte und versprach, ihr zum nächsten Zusammentreffen ein heilendes Pulver mitzubringen. Professor Domagk hielt sein Versprechen, er schenkte ihr eine flache Flasche aus Bakelit mit runder Grundform, eine Seite aus undurchsichtigem cremefarbenen, die andere aus durchsichtigem Kunststoff, gefüllt mit einem orangeroten feinen Pulver. Der Professor demonstrierte ihr die Funktionsweise der Dosierflasche. Durch Drücken auf den Flaschenkorpus trat das Pulver durch eine perforierte Platte am Flaschenhals aus und gelangte gezielt auf die Wundstelle. Es war die „Wundermedizin“ Prontosil, für deren Entdeckung dem Prof. Dr. Gerhard Domagk 1939 auf Vorschlag vieler internationaler Medizin-Wissenschaftler der Nobelpreis zugesprochen wurde.
Dieses erste Sulfonamid kam 1935 unter dem Namen „Prontosil“ in den Handel und war weltweit das erste Gegenmittel bei der Bekämpfung von Wundinfektionen durch kugelförmige Bakterien, den “Kokken“, die in aller Regel und trotz der hohen Perfektion der behandelnden Ärzte zum Tode des Patienten führten. Die medizinische Fachwelt ist sich einig, dass mit dem Einsatz von Prontosil eine neue Epoche der Bakterienbekämpfung begonnen hat und seit dem Einsatz von Prontosil vielen Millionen von Menschen das Leben gerettet worden ist. Im November 1935 trat wie aus heiterem Himmel ein tragisches Ereignis in der Familie Domagk ein, dass den Wissenschaftler und Vater Gerhard Domagk in eine unvorhersehbare Situation größter persönlicher Betroffenheit stellte. Seine fast siebenjährige Tochter Hildegard wollte ihre Mutter zu Weihnachten mit einer selbstgestickten Decke überraschen. Sie stolperte und stieß sich unglücklich die Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger in die Hand. Hand und Arm begannen schnell zu schwellen und bald zeigten sich rote Streifen. Die Lymphknoten in der Achselhöhle schwollen, Eiter wurde abgesondert, und die Temperatur stieg auf 39°C. Der Chirurg im Wuppertaler Krankenhaus riet zu einer Amputation des Armes, um Hildegards Leben zu retten. Aber der Vater Prof. Dr. Gerhard Domagk widersprach und verabreichte seiner Tochter Hildegard Prontosil. Zwei Tage später hatte sie normale Körpertemperatur und wurde bald danach als geheilt entlassen.
Zehn Jahre nach der Entdeckung der Heilwirkung des Prontosils entdeckte der englische Forscher Alexander Flemming das Penicillin als erstes wahres Antibiotikum und erhielt dafür mit anderen Forschern 1945 den Nobelpreis. Das Prontosil verlor bis auf wenige Anwendungsgebiete an Bedeutung gegenüber dem wirkungsvolleren Penicillin, die deutsche Pharmaindustrie stellte die Produktion von Prontosil ein und begann zeitverzögert mit der Penicillin-Forschung.
Im Oktober 2014 kommt es im Hause Domagk in Dahmeshöved in kleiner Runde mit dem jüngsten Sohn Jörg zu einem Gespräch über Prontosil und seine handelsübliche Form in der Dosierflasche, die zu seinem Bedauern nirgendwo mehr aufzutreiben sei, nicht einmal beim Hersteller BAYER. Beim Besuch am nächsten Tag zog dann mein Bruder Jens Paustian zur sprachlosen Verblüffung von Jörg Domagk den Joker aus dem Ärmel: er präsentierte dem Sohn des Nobelpreisträgers Gerhard Domagk in dessen Haus in Dahmeshöved diese fast schon legendäre Dosierflasche, noch halbgefüllt mit Prontosil, die sein Vater meiner Großmutter Anfang der neunzehnhundertvierziger Jahre geschenkt hatte. Er übereignete diese nun dem überraschten und hocherfreuten Jörg Domagk selbstlos für diesen höheren Zweck der Präsentation im Museum von Prof. Sörgel. Die fehlende Hälfte des Prontosils war bei sparsamstem Verbrauch über viele Jahre mit gewohntem Erfolg zur ersten und schnellen Wundbehandlung eingesetzt worden. Zur etwa gleichen Zeit wie meiner Großmutter hatte der Professor auch meiner Mutter eine Flasche geschenkt. Bei jedem notwendigen Gebrauch betrat Professor Domagk in unserer Familie wieder die Bühne unseres Bewusstseins.
Im Stillen und wohl Zeit ihres Lebens war meine Mutter dem Professor für eine andere Hilfe dankbar. Durch die Schule in Dahme und Vertreter der NSDAP wurden sie und mein Vater, zweiter Leuchtturmwärter in Dahmeshöved, wiederholt bedrängt, ihren ältesten Sohn zur Beschulung in der NAPOLA (Nationalpolitische Bildungsanstalt) in Plön anzumelden. Zu dieser Zeit war mein Vater noch Mitglied in der NSDAP und wohl nicht abgeneigt gegen eine solche „elitäre Auswahl“, meine Mutter war in ihrer Erziehung und politischen Anschauung geprägt von ihrem Vater , erster Leuchtturmwärter in Dahmeshöved, der durch seine Prägung im Dienst beim Ostasiatischen Geschwader der Kaiserlichen Marine in Tsingtau/China dem Gedankengut des Dritten Reiches völlig fernstand. In ihrer seelischen Not und dem Entscheidungszwiespalt gegenüber meinem Vater vertraute sie sich dem Professor Domagk an mit der Bitte um Hilfe gegen eine familienferne Beschulung in der NAPOLA. Der Professor muss wohl die wirksameren und entscheidenden Argumente geliefert haben. Meine Mutter setzte sich durch, hat bei Wahrung des Vertrauensschutzes gegenüber dem Professor nie darüber geredet. Ich blieb in der Volksschule in Dahme.
Mit Jörg verband mich (Verfasser) eine gute ungetrübte Jungenfreundschaft. Wir verbrachten die Nachmittage, indem ich ihm jeden Tag beim Pflücken von Grünfutter für die vielen Kaninchen und Meerschweine half, die im Bootshaus für Versuchszwecke im Labor seines Vaters bei Bayer IG Farben in Wuppertal gehalten und gezüchtet wurden. Wir legten nachmittags zusammen Grundangeln aus und holten sie am nächsten Tag nach der Schule wieder ein, verbrachten die Nachmittage im Dahmer Moor und suchten nach Nestern der vielen Kiebitze. Nach der Bombardierung und Versenkung der Dampfer CAP ARKONA mit mehr als 5000 Häftlingen und THIELBEK mit 2800 Häftlingen am 3. Mai 1945 vor Neustadt durch englische „Typhoon“-Jagdbomber der Staffel 198 , bei der etwa 7300 politische Häftlinge aus dem Hamburger KZ Neuengamme noch kurz vor dem Ende des Krieges ums Leben kamen, ertrunken, verbrannt, erfroren, kurz vor Erreichen des Strandes oder gar an Land noch erschossen, trieben die beiden ersten Toten auf einem eisernen Floß unweit der „Ecke“ von Dahmeshöved an.
Jörg als emsiger Strandgutsammler fand sie als erster und lief mit dieser Nachricht zu seinem Vater. Prof. Domagk ging zu meinem Großvater Heinrich Paustian im Leuchtturm Dahmeshöved und meldete den Fund. Mein Großvater übermittelte diese Information telefonisch an den in Dahme für die Gemeinde politisch Verantwortlichen Hans Martens. Von diesem schrecklichen Geschehen der Bombardierung mit den ohrenbetäubenden Detonationen hatte im 21 km (Luftlinie/Schallweg) entfernten Dahmeshöved niemand etwas mitbekommen. Seinem Sohn Jörg verbot der Vater, sich weiterhin am Strand aufzuhalten, um traumatisierende Erlebnisse durch die Vielzahl von täglich mehr antreibenden Leichen von ihm fernzuhalten. Der Professor hatte bei diesem Verbot wohl auch seine eigenen schrecklichen Erlebnisse als junger Sanitäter in den Lazaretten an der Ostfront vor Augen gehabt, wohl nicht den täglichen Schulweg seines Sohnes nach Kellenhusen bedacht. Jörg sah die angetriebenen Leichen morgens und mittags, wenn er aus der Schule zurückkam.
Verbote reizen zur Umgehung, und die Spannung und Neugierde auf das tägliche Geschehen am Strand waren wirksamer als das Verbot und die Folgen seiner Übertretung. So erlagen wir der Versuchung durch unsere brennende Neugierde und Jörg zeigte mir auf der Strandstrecke von der Ecke in Dahmeshöved bis annähernd nach Kellenhusen täglich neue Leichen in ihrer blau-weiß gestreiften Häftlingskleidung und groben Holzschuhen an den Füßen. Manche von ihnen, vom längeren Treiben im Wasser schon aufgedunsen, machten fälschlicher Weise den Eindruck von wohlgenährt sein. Die Toten wurden auf Tragen von der Flutkante geborgen, auf Leiterwagen, die mit Stroh ausgekleidet waren, oder Kastenwagen der Bauern geworfen und über den Moor-Weg oder Leuchtturmweg Richtung Dahme abgefahren. Jörg wurde einmal beim Zusehen aufgefordert, beim Aufladen der Leichen mitzuhelfen. Er erschrak dann doch bei dieser Vorstellung, weigerte sich und lief davon. An die zweihundertdreißig Leichen haben wir im Laufe etwa einer Woche nach der Versenkung der Dampfer gezählt. Wo sie bestattet wurden, erfuhren wir nicht, ist auch wegen fehlender Dokumentation bis heute nicht bekannt. Wir beiden vom Kriegsgeschehen eigentlich Unberührten erfassten auch nicht die wirkliche Tragik dieses Geschehens und kannten nicht die Umstände des Verbrechens dahinter.
Dann kam am 8. Mai 1945 der Tag der Kapitulation, der Krieg war zu Ende. Bis auf zwei Bomben in einer Vollmondnacht 1943, gelandet und explodiert im Knick der Koppel von Arthur Puck, etwa 500 Meter vor dem südlichen Ortseingang von Dahme, wahrscheinlich ausgelöst durch einen Piloten, der wohl das vom Glasdach des Gewächshauses der Gärtnerei von Herbert Geerds reflektierte Mondlicht irrtümlich für ein hellerleuchtetes Gebäude gehalten hatte, und dem Absturz eines englischen Jagdflugzeuges nach mehrfachem Tieffliegerbeschuss auf bewegliche Ziele kurz vor der Kapitulation am „Müschelnsteen“ oder „Katzenbuckel“, wie Jörg Domagk ihn bezeichnet, hat es keine nennenswerten Kriegsereignisse in Dahmeshöved gegeben. Nach Jörgs Erinnerungen war das Schießen der englischen Flieger zu hören, die Flieger waren über See zu sehen. Die Schießerei fand über der Mecklenburger Bucht auf Schiffe statt, die auf ihrem Seeweg von Osten in die Lübecker Bucht einlaufen wollten und Flüchtlinge an Bord hatten. Leute in Dahmeshöved selbst wurden nicht unter Beschuss genommen.
Nicht lange nach dem Kapitulationstag kam ein Jeep am Leuchtturm vorbei und fuhr weiter zur Ecke in Richtung Domagks Haus, um den Professor Domagk aufzusuchen. Nach der Darstellung von Jörg Domagk war das Fahrzeug wohl eher ein Panzerspähwagen, gelenkt von einem „schwarzen Driver“ (Domagk). „Ein Agent wollte Papa sprechen und verordnete Hausarrest, bis er ihn persönlich abhole. Ist nie gekommen. Hat sich ein Buch geliehen und nie zurückgebracht. Bei einer späteren zufälligen Begegnung sprach Papa ihn darauf an und ließ sich erklären, dass er das Buch noch besäße.“ Eine weitere Einlassung zur damaligen Situation hat Jörg nicht gemacht.
Diese „zufällige Begegnung“ ereignete sich im März 1959 anlässlich der 15. Generalversammlung des japanischen Ärztekongresses in Tokio als „eine ganz unerwartete Begegnung mit Professor Reese, der sich als amerikanischer Offizier vorstellte, der mich 1945 – wie er sagte – „ befreite“. … Er erzählte mir, daß er den Band des Handbuchs der Inneren Medizin, in dem ich gerade las, als er mich „befreite“, immer noch als Andenken besäße.“ (Gerhard Domagk hielt am 1. April 1959 vor 30 000 teilnehmenden Ärzten die Festansprache für die europäische Ärzteschaft.)
Um die Jahreswende 1945/46 hatten die Engländer als Besatzungsmacht das Wohnhaus von Prof. Domagk in der Walkürenallee 11 in Wuppertal wieder freigegeben. „Dann begann ich jeden Arbeit nach der Arbeit im Werk, das Haus zu säubern, gemeinsam mit Götz, der das erste Semester seines Medizinstudiums in Göttingen beendet hatte. Meine Frau, die mit den übrigen Kindern noch in Dahmeshöved lebte, sollte das Haus erst wiedersehen, wenn die Handwerker das Nötigste wiederhergestellt hatten“. Sobald die Wohnsituation wieder hergestellt war, übersiedelte die Familie; Wuppertal-Elberfeld wurde wieder zum Lebensmittelpunkt der Familie Domagk und zum Forschungsmittelpunkt von Prof. Gerhard Domagk.
Bei Bayer hatte die Restaurierung des Pharmazieunternehmens begonnen, und die experimentellen Forschungsarbeiten zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten in den Laboratorien wurden unter anfangs noch schwierigen Bedingungen wieder aufgenommen.
Das Sommerhaus der Domagks und ganzjährige Ausweichquartier in den beiden letzten Kriegsjahren wurde nach dem Auszug der Familie Domagk von Verwandten des Professors aus dem Osten bezogen. Frau Seifert, ihre beiden erwachsenen Töchter und ihre unverheiratete Schwester waren als Flüchtlinge gekommen und hatten in Dahmeshöved ein neues Zuhause gefunden. Sie richteten sich auf ein längeres Bleiben ein, unterhielten Haus und Anlagen, betrieben einen intensiven Gartenbau und wurden nahezu Selbstversorger. Anfang der fünfziger Jahre bauten sie in Dahme ein Einfamilienhaus und verzogen nach Dahme.
Die Eltern Domagk kamen nur noch selten, dafür nutzten die inzwischen erwachsenen Kinder Dahmeshöved. Bei einem dieser Aufenthalte habe ich den Professor letztmalig getroffen. Auf meinem Nachhauseweg von der Schule zum Leuchtturm traf ich auf das Ehepaar Domagk auf etwa halber Distanz nach Dahme. Frau Domagk hatte ihren Mann auf seiner rechten Seite untergehakt, er machte nicht den lebendigen Eindruck, wie ich ihn von der „Ecke“ her kannte. Als wir zusammentrafen, fragte er mich wie immer freundlich und interessiert nach meiner Familie, meinem Befinden und nach der Schule. Ich antwortete ihm offen und berichtete von meinem Besuch des Freiherr-vom-Stein- Gymnasiums in der Außenstelle im Kloster Cismar. Er schien erfreut zu sein, dann wir gingen unseres Weges.
Der jüngste Sohn Jörg, dem Haus und Grundstück später zugeeignet wurden, verbrachte die meiste Zeit im Sommerhaus. Während dieser Aufenthalte hatte er wenig Erholung, vielmehr arbeitete er, oftmals mit Freunden, intensiv an der Uferbefestigung des Grundstückes, um die Uferlinie zu sichern. Die schweren Frühjahrs- und Herbststürme aus nördlichen bis südöstlichen Richtungen führten in machen Jahren zu erheblichen Landverlusten.
Der Professor Domagk war nach seiner Rückkehr nach Elberfeld voll in die Forschung bei Bayer eingetaucht. Wenn er nicht forschte oder lehrte, war er unermüdlich auf Vortragsreisen unterwegs. Doch verlor er nie sein Haus in Dahmeshöved aus dem Bewusstsein und versuchte, indirekt jede Gelegenheit zur „Rettung“ wahrzunehmen. Über einen dieser Versuche „an höchster Stelle“ schrieb mir sein Sohn Jörg.
„Hallo, lieber Uwe! Jetzt kommt die Geschichte mit dem Prof. und seinem Ferienhaus in Dahmeshöved: In den fünfziger Jahren hat das Wasserstraßenamt in Kiel das Ufer am Leuchtturm gesichert. Es wurde eine riesige Befestigung errichtet mit Spundwänden, Rammen, Findlingen und Unmengen D-Mark. Der Erfolg war umwerfend. Es entstand von dem Bauwerk ein Strudel in der See, der in das Steilufer riesige Löcher grub und den Eigentümern große Sorgen bereitete. (Das Loch nach dem Sturm hast Du auf dem Foto an Deiner Wand.)
Der berühmte Prof. besuchte seine Uni in Kiel, um einen Vortrag über das neu erfundene Tuberkuloseheilmittel Neoteben zu halten. Gast war der derzeitige Ministerpräsident Kai Uwe von Hassel. Ein besonderer Mitstreiter gegen die Tuberkulose, Herr Prof. Kuhlmann, Chefarzt der LVA Mölln, sprach anlässlich der Festlichkeit den Ministerpräsidenten wegen der Uferschäden am Grundstück Domagk in Dahmeshöved an, denn diese entstanden nur durch die staatlichen Bauarbeiten am Ufer des Leuchtturms. Es dauerte nicht lange, bis der Herr Ministerpräsident dem verehrten Prof. mitteilte, dass er sich um seine Sorgen gekümmert habe und ihm den Rat erteilt, sein Haus abzureißen und an einer sicheren Stelle, die von der See nicht bedroht wird, wieder zu errichten. Zwischenzeitlich ist die teure Befestigung am Nebelhorn samt Nebelhorn von der See gefressen und der Strudel verschwunden. Das Haus Domagk steht noch dank der Eigeninitiative des Profs. Jeder lässt sich gerne helfen und hilft selber ungerne.
Das musst Du schreiben! Gruß Jörg“
So soll es sein, denn der ministerielle Rat ist ein politisches Unikat sui generis; dieses hätten selbst der Bürgermeister von Schilda und die Gesamtheit seiner Schildbürger in ihrer Einfältigkeit nicht überbieten können.
Uwe Landschoof, 2017