Während der DDR-Zeit gab es etwa 5000 Fluchtversuche über die Ostsee. Weniger als 600 Flüchtende erreichten ihr Ziel. Der Leuchtturm Dahmeshöved war „das Licht der Freiheit“, die Landmarke, die die Freiheit bedeutete.
In Dahmeshöved erinnern heute ein im Jahr 2000 errichteter Gedenkstein und eine Informationstafel an diese Zeit. Die Initiatorin zum Errichten dieses Gedenkortes war Heidrun Reshöft.
Flucht über die Ostsee
Das Blinken des Leuchtturms in Dahmeshöved diente den Menschen an der mecklenburgischen Küste während des DDR-Regimes als Orientierung und war das Ziel für die Flucht in den Westen.
In den Jahren nach dem Bau der Mauer versuchten mindestens 6.500 Menschen eine Flucht über die Ostsee. Ungefähr zwei Drittel dieser jungen Leute waren zwischen 14 und 21 Jahre alt. Nur etwa 900 gelang die Flucht und knapp 200 Männer, Frauen und Kinder bezahlten diesen Versuch mit ihrem Leben.
Die Vorbereitungen für eine Flucht nahmen teilweise Jahre in Anspruch. Die Not machte erfinderisch, sie entwickelten die abenteuerlichsten Konstruktionen, bauten kuriose Seefahrzeuge wie den Aqua-Scooter oder kleine U-Boote. Einige wagten sich in Schlauch- oder Paddelbooten oder auf Surfbrettern mit der Sehnsucht nach Freiheit über die Ostsee. Andere trainierten ihren Körper, um mit ihrer Muskelkraft und starkem Willen die Seegrenze zu durchschwimmen. Nur wenige erreichten ihr Ziel. Der größte Teil der Flüchtlinge - über 4.500 – wurden entweder auf dem Weg zur Ostsee, an der Küste oder auf See entdeckt und festgenommen.
Häufigste Fluchtzeiten waren der Spätsommer und der Herbst. Meist wurde die Naturgewalt der Ostsee mit ihren Strömungen unterschätzt. So kenterten ihre Boote, sie ertranken oder starben an Unterkühlung. Die Flüchtlinge, die hier die holsteinische Küste erreichten, wurden dem Bundesgrenzschutz übergeben. Die Bevölkerung wurde gebeten, Stillschweigen zu bewahren, um die Flucht anderer nicht zu gefährden.
DDR Grenzsicherung an der Ostsee
Um Fluchtvorhaben frühzeitig aufzudecken hatte man entlang der gesamten Ostseeküste ein 5 km breites Gebiet zur Grenzzone erklärt. Hier war die Grenzbrigade Küste in den letzten Jahren der DDR mit über 1.000 Grenzern zur Überwachung der Küste im Einsatz.
Von über 70 Beobachtungstürmen wurden das grenznahe Hinterland und die Küste überwacht. Nachts strichen russische Flakscheinwerfer mit einer Reichweite von 18 km in regelmäßigen Abständen über die Ostsee. Die Lichtkegel waren von Dahme und Dahmeshöved aus gut sichtbar. Entlang der 3 Meilenzone auf der See lagen Grenzboote und Wachschiffe, die den gesamten Schiffsverkehr kontrollierten und im Morgengrauen ein festgelegtes nach Flüchtlingen absuchte.
Die Flucht des Gotthold Schimpf
Es war zu der Zeit, als Deutschland zweigeteilt war, als Ergebnis des letzten großen Krieges, zweigeteilt in Ost und West, in BRD und DDR. Geteilt durch Berliner Mauer und die weitere Grenze mitten durch Deutschland, auch durch die Ostsee. Für die Einwohner der DDR war die Überquerung der Grenze strengstens verboten. Bei Versuchen von Ost nach West zu kommen bestand Lebensgefahr, d.h. man wurde gehindert, eingefangen oder auch erschossen. Dasselbe galt beim Versuch der Flucht über die Ostsee.
Am Abend konnten wir vom Steilufer in Dahmeshöved hinüberschauen zur 42 km entfernten Mecklenburger Küste und sahen das Leuchtfeuer von Kühlungsborn. Wir wußten auch, dass Kontrollboote der DDR unterwegs waren um evtl. Flüchtlinge im Wasser zu erwischen oder zu erschießen.
Wir wohnten in unserem wunderbaren Haus auf der Steilküste. Wir, eine Familie mit fünf Kindern. Das Haus hatte der Familienvater selbst entworfen. Es erwies sich als ideal für uns. Spiel und Bewegung für alle Mitglieder der Familie war durch Strand und Ostsee genug vorhanden. Die Grenze auf oder in der Ostsee war weit genug weg und die derzeitige politische Lage verhältnismäßig ruhig.
Es war am Ende des Sommers. Früh wurde es bereits dunkel. Nachdem es ruhig im Hause wurde, setzte ich mich ans Fenster, um auf meiner Schreibmaschine zu schreiben. Es hatte geregnet. Plötzlich tauchte ein Gesicht vor der Scheibe auf. Ein helles Gesicht, ganz nass und mit wirren Haaren.
Ich sprang auf und rief meinen Mann, der zusammen mit einem Freund noch arbeitete. Zu dritt waren wir an der Haustür. Da stand ein total durchnässter und zitternder junger Mann vor uns. Auf unsere Fragen kam eine Antwort in einem für uns schwer verständlichen Deutsch. Es war thüringisch aus dem Erzgebirge. Wir holten den Jungen rasch herein. Er kam direkt mit einem Faltboot hier her zu uns an unser Ufer. Die Kontrollboote der DDR hatten ihn nicht erwischt. Das war eineFreude! Sofort wurde er warm versorgt. Am nächsten Tag berichtete er von seiner mutigen Unternehmung. Immerhin ging es dabei um eine lebensbedrohliche Fahrt in der Nacht, mutig durch die Kontrolle der ostzonalen Wachtboote. Gotthold Schimpf hieß der junge mutige Mann und war neunzehn Jahre alt. Der Beweggrund, die DDR zu verlassen war, daß für ihn die Tätigkeit als gelernter Konditor einfach zu eintönig war und er andere Zukunftspläne im Kopf hatte. Die nächsten Tage meldete er sich als Flüchtling an. Danach haben wir lange nichts von ihm gehört. Jedoch zum folgenden Weihnachten kam ein Paket aus dem Vogtland aus Thüringen mit einer hübschen Unruhe bei uns an. Es stand kein Absender drauf. Wir nahmen aber an, dass es von den Eltern des Jungen kam. Knapp ein halbes Jahr später erhielten wir Grüße von ihm aus der Schweiz. Es ging ihm offenbar gut und er war dabei die freie westliche Welt zu erkunden.
22.06.2022 Ilse Tychsen
Peter Döbler
Peter Döbler (geb. 1940 in Rostock) plante seine Flucht aus der DDR, seit er während seines Medizinstudiums die Einschränkungen der DDR-Regierung zu spüren bekam.
Der Chirurg schwamm im Juli 1971 von Kühlungsborn in Richtung der Ostseeinsel Fehmarn. Kurz vor Staberhuk (Insel Fehmarn / Schleswig-Holstein) zogen ihn Urlauber aus dem Wasser. Peter Döbler benötigte für die 48 Kilometer 25 Stunden.
Für seinen Schulfreund Erhard Schelter besorgte er in der Bundesrepublik die für eine Flucht über die Ostsee notwendige Ausrüstung und ließ ihm diese über Schelters Schwester Roswitha, die im Westen lebte, jahrelang auf offener Transitstrecke nach und nach übergeben. Sie hat außerdem sämtliche Informationen von Peter Döbler aus der Bundesrepublik an Erhard Schelter in die DDR weitergeleitet.
Erhard Schelter
Erhard Schelter (geb. 1940 in Rostock) plante seine Flucht mit den Informationen, die ihm Peter Döbler über seine Schwester Roswitha S., die im Westen lebte, zukommen ließ.
Seekarten, Schwimmausrüstung, Kompaß und Medikamente wurden jahrelang nach und nach an ihn übergeben. 14 Tage vor der geplanten Flucht lernte er beim Training Volker H. kennen. Nach kurzer Zeit war klar, daß auch er „rüber machen“, also die DDR gen Westen verlassen wollte.
Am 20. September 1974 verließen die beiden in Dämmerung die mecklenburgische Küste bei Boltenhagen mit Ziel Dahme. Als Orientierung diente das Licht des Dahmer Leuchtturmes.
Die starke Strömung trieb sie in Richtung Dänemark. Am frühen Morgen des nächsten Tages wurden sie unter dramatischen Umständen von einer Fähre aufgenommen. Zwei Grenzboote der DDR versuchten die Rettung zu verhindern.
Die Flucht des Erhard Schelter ist später in einem Dokumentarfilm festgehalten worden („Über das Meer“, Basis Filmverleih).